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Epidemiologie

In Europa leiden innerhalb eines Jahres 38% der Bevölkerung an einer neuropsychiatrischen Erkrankung. Umgerechnet auf die Bevölkerung in Österreich sind dies über 3.200.000 Menschen. Im Jahr 2030 werden laut einer WHO Berechnung werden unter den wichtigsten sechs Erkrankungen fünf psychiatrische sein: 1 Depression, 2 Alkoholabhängigkeit, 4 Demenz, 5 Schizophrenie, 6 Bipolare Störung.
Da es vielfach Unklarheiten zu geben scheint, welche psychischen Erkrankungen es gibt, findet sich an dieser Stelle eine kurze Aufzählung der westlichsten Erkrankungen: Demenz, Delir, Schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit von psychotropen Substanzen (Alkohol, Tabak, Drogen, Medikamente), Schizophrenie, wahnhafte Störung, Depression, bipolare Störung (manisch-depressive Erkrankung), Phobien, Angststörungen, Zwangsstörung, posttraumatische Belastungsstörung, somatoforme Störung (psychosomatische Erkrankungen), anhaltende Schmerzstörung, Essstörungen, Schlafstörungen, sexuelle Funktionsstörungen, psychische Erkrankungen im Wochenbett, Impulskontrollstörung, Glückspielsucht, Störung der Geschlechtsidentität, Störung der Sexualpräferenz, Persönlichkeitsstörungen, Intelligenzminderung, Entwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitshyperaktivitätssyndrom bzw. ein umfassendes Kapitel zu Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter.
Beachten Sie, dass eine Diagnose in der Regel nur dann gerechtfertigt ist, wenn die/der Betroffene unter den Symptomen leidet oder eine funktionelle Einschränkung erfährt.
Der Prozentsatz beinhaltet psychiatrische und neurologische Erkrankungen, da eine Zuordnung mitunter schwierig ist (z. B. chronischer Kopf- oder Rückenschmerz).

Quellen
Wittchen, H. U. et al. The size and burden of mental disorders and other disorders of the brain in Europe 2010. Eur Neuropsychopharmacol. 2011.
Mathers, C. D. & Loncar, D. Projections of global mortality and burden of disease from 2002 to 2030. PLoS Medicine. 2006.

Versorgung

Obwohl in Österreich keine validen Daten zu Verfügung stehen, ist davon auszugehen, dass 90% der Erkrankten keine oder nur eine inadäquate Therapie zur Verfügung haben. Diese Zahlen sind insofern dramatisch, als zum Beispiel eine Alkoholabhängigkeit die Lebenserwartung zwischen 19 und 25 Jahre senkt bzw. in der Altersgruppe zwischen 20 und 39 Jahre 25% aller Tode alkoholassoziiert sind. Als prekär ist die medizinische Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu bezeichnen. Für über 1.500.000 Kinder und Jugendliche stehen in ganz Österreich vier Kassenordinationen zur Verfügung. Österreich hat im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern eine besonders fragwürdige Versorgung. Es stellt sich die Frage, ob die Benachteiligung von Menschen mit psychischen Erkrankungen mit der Verfassung bzw. mit europäischem Recht konform geht.

Quellen
Wittchen, H. U. Bedarfsgerechte Versorgung psychischer Störungen. Abschätzungen aufgrund epidemiologischer, bevölkerungsbezogener Daten. Publiziert online. 2000.
Alonso, J. et al. Psychotropic drug utilization in Europe: results from the European Study of the Epidemiology of Mental Disorders (ESEMeD) project. Acta Psychiatr Scand Suppl. 2004.
John, U. et al. Excess mortality of alcohol-dependent individuals after 14 years and mortality predictors based on treatment participation and severity of alcohol dependence. Alcoholism, clinical and experimental research. 2013.
WHO. Factsheet Alcohol. Publiziert online.
OECD. Factbook 2009: Economic, Environmental and Social Statistics. Publiziert online. 2009.
OECD. OECD Health at a glance. Publiziert online. 2011.

Therapie oder Strafe

In Österreich sitzen gleich viele Menschen nach dem Maßregelvollzug (‘geistig abnorme Rechtsbrecher’) in Haft wie in Deutschland. Diese Regelung widerspricht geltendem EU Recht und wird nach aller Voraussicht eine Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nach sich ziehen. Die Fälle von massiver Vernachlässigung in den Justizanstalten erinnern an die skandalösen Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen im Otto Wagner Spital in den 1980er Jahren, deren Umstände nur unzureichend aufgearbeitet wurden. Das genannte Spital ist eines der letzten Krankenhäuser in Europa, das Menschen in Netzbetten fixiert, und damit die Kritik der Europäischen Antifolterkonvention auf sich zieht (diese Praxis wird ab 1. Juli 2015 verboten sein).

Quellen
Der Standard: Maßnahmenvollzug: Österreich riskiert Straßburg-Urteil.
http://derstandard.at/2000009800163/Massnahmenvollzug-Oesterreich-riskiert-Strassburg-Urteil
Der Falter: Die Schande von Pavillon 15
http://www.steinhof-erhalten.at/Medienberichte/falter_29-5-2013.pdf
Der Standard: Gesundheitsministerium verbietet Netzbetten
http://derstandard.at/2000005004735/Gesundheitsministerium-verbietet-Netzbetten

Psychische vs. körperliche Gesundheit

Die Grenze zwischen körperlicher und psychischer Gesundheit ist virtuell. Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen (chronische Kopfschmerzen, chronische Wirbelsäulenschmerzen, Reizdarm, etc.) werden regelhaft intensiven diagnostischen und therapeutischen Methoden unterzogen, die jedoch keine substanzielle Wirkung auf die Grunderkrankung haben. Die Behandlung dieser Errkankungen (somatoforme Störung, hypochondrische Störung, anhaltende Schmerzstörung) sollte hingegen evidenzbasiert durch PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen erfolgen. Aufgrund der auch in Österreich gängigen Praxis der Ignoranz von wissenschaftlichen Erkenntnissen entstehen in den USA pro Jahr 256 Milliarden Dollar an Kosten. Auch abgesehen von dieser spezifischen Erkrankungsgruppe ist eine Trennung von körperlicher und psychischer Gesundheit nicht sinnvoll. Eine unbehandelte psychische Erkrankung (zum Beispiel eine unbehandelte Opiatabhängigkeit) kann im Rahmen eines Risikoverhaltens zu einer HIV Infektion führen. Die Nachricht über eine erfolgte HIV Infektion kann zu einer Anpassungsstörung oder auch depressiven Episode führen.

Quelle
Die Zeit: Die Krankheitskranken.
http://www.zeit.de/2014/20/hypochondrie-somatisierungsstoerung
Barsky AJ1, Orav EJ, Bates DW. Somatization increases medical utilization and costs independent of psychiatric and medical comorbidity. Arch Gen Psychiatry. 2005.

Keine Prävention in der Medizin ohne psychische Gesundheit

Solange Abhängigkeitserkrankungen von vielen beteiligten nicht als Erkrankungen anerkannt werden, ist ein Wandel im Sinne einer reparativen Medizin in Richtung einer Präventionsmedizin nicht möglich. In Österreich sind zirka eine Million Menschen leicht-, mittel- oder schwergradig alkoholkrank, 1.600.000 leiden an einer Tabakabhängigkeit. Die Schwierigkeiten in der Veränderung von sogenannten Lebensgewohnheiten wie Ernährung und Bewegung fußen häufig in nicht erkannten und damit unbehandelten psychischen Erkrankungen (zum Beispiel chronische Depressionen oder Esssattcken). Natürlich gibt es Industriezweige, deren Einnahmen großteils von Menschen mit psychischen Erkrankungen erwirtschaftet (73% des konsumierten Alkohols werden von 17% der KonsumentInnen getrunken, 1,6 der 2,3 Millionen TabakkonsumentInnen leiden an einer Tabakabhängigkeit. 11,9% der spielsüchtigen PatientInnen sind in keinerlei Therapie bzw. 98% der Wiener BankräuberInnen haben laut einer rezente Statistik der Wiener Polizei Spielschulden).

Quellen
Uhl, A. et al. Handbuch Alkohol – Österreich Band 1: Statistiken und Berechnungsgrundlagen.  2013.
Kasper, S., Haller, R., Haring, C. & Musalek, M. Substanzbezogene Störungen und psychiatrische Erkrankungen. Konsensus Statement der Österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und biologische Psychiatrie. 2007.
Braun, B., Ludwig, M., Sleczka, P., Buhringer, G. & Kraus, L. Gamblers seeking treatment: Who does and who doesn’t? Journal of behavioral addictions. 2014.